070189 KU Ethnographie in Ostmittel- und Osteuropa (2007S)

Die Ethnographie, wie sie sich in Ost- und Ostmitteleuropa im Laufe der genannten Epoche mit Vereinen, Museen und schließlich auch an Universitäten institutionalisierte, gilt gemeinhin als Volkskunde. Diese wiederum wird als Lehre vom Eigenen, Europäischen verstanden, während das Exotische der Völkerkunde vorbehalten bleibt. Die Affinität der Völkerkunde des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu biologistischen Denkmustern und von ihnen gestützten Weltbildern ist offensichtlich. Die Volkskunde hingegen wird meist als unschädliche Form nationaler Selbstvergewisserung betrachtet, die sich von der Rassenlehre fernhielt.

Hatten also die Ethnographien Ostmittel- und Osteuropas in der hier interessierenden Epoche mit den in Westeuropa blühenden Kolonialwissenschaften wirklich nichts gemein? Dachten universitär etablierte Ethnographen, Angehörige der akademischen Subkultur und Amateure in dieser Hinsicht gleich? Wie beeinflusste die Haltung zu den Nationalbewegungen die ethnographische Praxis? Welche Akzente setzte die Anbindung der Ethnographie an die Kulturtheorien der Epoche? Waren die Ethnographien in den Ländern Österreich-Ungarns und des Russischen Reiches ideelle Stützen dieser Imperien, oder stellten sie deren Legitimität in Frage? Unter dem Aspekt des Verhältnisses zwischen Humanwissenschaften und Herrschaft soll die Analyse der Ethnographien in Ostmittel- und Osteuropa über den Zusammenbruch der Vielvölkerreiche hinaus bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs fortgesetzt werden.