080054 VO Architektur der Gotik in den deutschsprachigen Ländern (m.K.) (2021S)

Als "maniera tedesca" charakterisierte und verurteilte in der italienischen Spätrenaissance Giorgio Vasari die gotische Architektur. Als dann Goethe 1773 unter dem Eindruck der Fassade des Straßburger Münsters seinen kurzen Text "Von deutscher Baukunst" publizierte, wendete er Vasaris negatives Urteil in ein positives und erklärte die Gotik zum Ausdruck deutschen Geistes. Seit der Mitte des 19. Jhs. konnten allerdings auch nationalistisch orientierte Kunsthistoriker wissen, dass gotische Architektur in Deutschland zunächst Importgut war, dass die entscheidenden Innovationen in Frankreich (v. a. in der Ile de France) geleistet worden waren. Die Vorlesung wird den Stationen der Rezeption gotischer Architektur im deutschsprachigen Raum nachgehen und die unterschiedlichen Weisen der Gotikrezeption zu differenzieren suchen.
Bedingt durch andere stilgeschichtliche Traditionen, motiviert aber auch durch die Notwendigkeit, das aufwendige, in Frankreich v. a. in Kathedralbauten entwickelte früh- und hochgotische System auf Format, Anspruch und den finanziellen Spielraum von bescheideneren Kloster- und Pfarrkirchen zu bringen, bildeten sich in der spätgotischen Architektur der deutschen Länder bemerkenswerte und innovative Lösungen aus. Dank überragender Baumeister wie Heinrich und Peter Parler (in Schwäbisch-Gmünd, Nürnberg und Prag), Hans von Burghausen (in Bayern und Österreich), Ulrich von Ensingen (in Straßburg, Ulm) oder Benedikt Ried (in Prag) kam es im 14. und 15. Jh. in den deutschsprachigen Ländern zu einer architekturgeschichtlichen Blütezeit.
Methodisch bietet die Vorlesung v. a. einen formgeschichtlichen Ansatz mit dem Ziel der strukturierten Wahrnehmung, der typologischen Einordnung und der angemessenen Beschreibung stilistischer Entwicklungen, ergänzt durch Abschnitte zur politischen Ikonographie, zu Materialitätsfragen und zu urbanistischen Problemen.