Universität Wien
Achtung! Das Lehrangebot ist noch nicht vollständig und wird bis Semesterbeginn laufend ergänzt.

135822 SE MA-Seminar: Michail Bachtin und die Roman-Polyphonie: Mythos und Methode (2018W)

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

  • Donnerstag 04.10. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 11.10. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 18.10. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 25.10. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 08.11. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 15.11. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 22.11. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 29.11. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 13.12. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 10.01. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 17.01. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG
  • Donnerstag 24.01. 10:30 - 12:00 Seminarraum 2 Sensengasse 3a 1.OG

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Dem russischen Literatur- und Kulturtheoretiker Michail Bachtin (1895-1975) widerfuhr eine der erstaunlichsten und triumphalsten Rezeptionsgeschichten seines Denkens, von dem wegen seines erzwungen zurückgezogenen Lebens in der jahrzehntelangen Verbannung nur Insider Kenntnis hatten. Erst in der Spätphase seines Lebens in den 60er und 70er Jahren gelangte Bachtin wieder ins kulturelle Gedächtnis zunächst in Russland und dann mit bis heute anhaltender Strahlkraft im Westen in Frankreich, Deutschland und in den USA.
Da nun diese fulminante Rezeptionsgeschichte schon einige Jahrzehnte anhält und wie das zu sein pflegt auch zunehmend von Mythisierungen, Mystifikationen und nicht geringen Falschlesungen überlagert scheint, lohnt es im Rahme einer komparatistischen Auseinandersetzung, die ursprünglichen Denkformen und Methoden in den sehr unterschiedlichen Entwicklungsphasen Bachtins mit ihrer Ideologisierung und massiven Deformationen zu konfrontieren.
In diesem Sinne entpuppen sich die theoretischen Anstöße Bachtins als eine Art "Bachtinismus", der mit den ursprünglichen Intentionen und Kontexten nicht mehr viel zu tun hat. Dabei stellt sich die für Komparatisten zentrale Frage nach der Gegenüberstellung von puristischen Re-konstruktionen (theoretischer, literarischer, kultureller Konzepte) und der gezielten De-Konstruktion und provokanten Neu-Lektüre jenseits der historischen und geistesgeschichtlichen Einordnungen (zumal im Rahmen der P-Moderne und des Neostrukturalismus).
Es geht dabei um folgende Schwerpunkte in der Theoriebildung Bachtins:

• Philosophische Ästhetik vs. analytische Literaturwissenschaft (des russischen Formalismus der 20er Jahre: ästhetische Distanz und literarische Verfremdung)
• Die Entdeckung von Ich und Du: Dialogizität und dialogisches Schreiben
• Traditionen des Dialogischen Denkens (Platon, Kierkegaard, Martin Buber, Vj. Ivanov)
• Das Konzept des polyphonen Romans (Dostoevskij-Buch 1929)
• Polyphonie Dostoevskijs vs. Monophonie Tolstojs oder umgekehrt?
• Karneval und Lachkultur (Rabelais-Buch, 40er Jahre)
• Der groteske und der klassische Körper
• Bachtins 'Volk' und Kollektiv-Denken im Stalinismus
• Autor und Held (Spätwerk), Autor und Maske
• Chronotop der kulturelle bzw. literarische Zeit-Raum
• Die Entstehung des Romans aus der menippeischen Satire

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Prüfungsstoff

Themenvorschläge:

• Bachtin [B.] und Formalismus
• Bachtin und Poststrukturalismus (Kristeva, Barthes etc.)
• B.s Grotresker Körper und das Dionysische bei Nietzsche / klassischer Körper und das Apollinische
• Linguistische und stilistische Dialogtheorien (Jakobinskij, Vinogradov)
• Philosophische Konzepte des Dialogischen
• Traditionen des Diologismus von Sokrates bis Buber: Ich-Du und Alterität
• B. und der Symbolismus (Vj. Ivanov)
• B. kritische Einstellung zur Lyrik: Warum sollte Lyrik monologisch sein?
• B. Avantgardekritik: Multiperspektivik (Kubismus) und Polyphonie
• B.s Kritik der Romantik und der Ironie
• Sind monologische Genres per se autoritär?
• Die Aporien der polyphonen Autorschaft oder: der Held als Autor
• Dostoevskij als Polyphoniker und Tolstoj als Monophoner?
• Vielstimmigkeit, innere Rede uneigentlich direkte Rede
• Schriftfixierung bei Derrida und Phonozentrismus bei Bachtin?
• Theorie der stilisierten mündlichen Rede: skaz
• Ist Doderer ein polyphoner Autor (vgl. Dost.s Dämonen und jene Doderers)
• Lev Vygotskijs Psychologie der Kunst und B.
• Autorschaft als "Maske": B.s unfreiwillige Mystifikationen
• B. und das Konzept von Gattung und Gedächtnis
• Von der Peripherie ins Zentrum: B.s Rezpetionsgeschichte als posthumes Märchen eines verbannten Geistes
• B. im Kontext des Stalinismus: Volkskörper und Kollektivismus
• Die Frau als Leer-Stelle im System Bachtin
• B. und Nikolaj Fedorovs Projekt der Vatererlösung und Antihistorie: die Umkehrung des ödipalen Prinzips
• Dialog Drama theatralisches Wort: performative Verbalität
• Eine Theorie der Autorschaft und der Romanhelden
• B.s Konzept des Chronotops
• Die Entstehung der Romangattung aus den Platonischen Dialogen und der menippeischen Satire
• Karneval vs. Karnevalisierung: Lachkulturen
• Offizielle Welt des Ernstes und inoffizielle des Karnevals
• Karnevalistische Elemengte des Religiösen: Jesus Christus die Gottesnarren Paradoxa der Meister
• B.s Linguistikkritik: synthetische vs. analytische Sprachtheorien
• B.s Kritik der Psychoanalyse
• Entwicklungsphasen im Denken B.s: 10er und frühe 20er Jahre, Miette bis Ende 20er Jahre, 30-50er Jahre, Spätphase bis Mitte fer 70er Jahre
• Triumph des Autors / Tod des Autors (Barthes)
• Autor schafft Autorschaft: der Text als Autor (F. Ph. Ingold)
• B. und die Entdeckung des Körpers
• Hybride Sprachkulturen der frühen Neuzeit: B.s Rabelais und die Kritik der Romanisten
• Richtig und falsch in der Theoriebildung: Tendenzen der Bachtin-Kritik
• Warum sind die meisten Vordenker der Moderne Antimodernisten und Traditionalisten in ihrem Literatur- und Kunstgeschmack gewesen? Freud, Jung, Lévi-Strauss etc. … und Bachtin. Und warum wurden sie trotzdem als Väter ihrer jeweiligen Avantgarden gefeiert?
• Probleme der Terminologie und ihrer Übersetzung: russisch französisch deutsch englisch

Literatur

Primärliteratur:

Bachtin, Michail. Probleme der Poetik Dostoevskijs, [1929] München 1971.
[Ullstein Taschenbuch Frankf. etc. 1985 etc.
"Das Wort im Roman", in: Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt/M. 1979,
"Rabelais und Gogol", in: Michail Bachtin, Ästhetik des Wortes, Frankfurt/M. 1979, S. 338-348;
Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt/M. 1987.
Autor und Held in der ästhetischen Tätigkeit [1923/24], hg. Rainer Grübel, E. Kowalski, UIrich Schmid, Frankfurt/M. 2008.
Chronotopos, Frankfurt/M. 2008.
Zur Philosophie der Handlung, übersetzt von Dorothea Trottenberg, hrsg. von Sylvia Sasse, Berlin 2011.

Sekundärlitratur:

K. Clark / M. Holquist, Mikhail Bakhtin, Cambridge 1984.
S. Sasse, Michail Bachtin zur Einführung, Berlin: Junius Verlag 2010 (dort akt. Bibl.)
R. Grübel, Die Ästhetik des Wortes bei M. Bachtin, in: M. Bachtin, Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt/M. 2008.
A. Hansen-Löve, Der russische Formalismus, Wien: Verlag der Österr. Akad.d.Wiss 1978 (S. 426-462)
C. Emerson / G.S. Morson, M. Bakhtin: creatin of a prosaic, Stanford 1990.
R. Lachmann, Bachtin und das Konzept der Karnevalswelt, Vorwort zu: Rabelais und seine Welt, S. 7-46.
Schmid, Wolf. Der Textaufbau in den Erzählungen Dostoevskijs, München 1973.
"Sinnpotentiale der diegetischen Allusion. A. Puškins Posthalternovelle und ihre Prätexte", in: Dialog der Texte, (Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband 11), Wien 1983, S. 141-188.
"Bachtins 'Dialogizität' Eine Metapher", in: Hanns Günther Hilbert (Hg.), Roman und Gesellschaft, Internationales Bachtin-Colloquium, Jena 1984, S. 70-77.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

MA M2

Letzte Änderung: Do 04.07.2024 00:13