Universität Wien
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180115 SE Zur Performativität von Krankheit und Geschlecht (2012W)

Judith Butlers Theorie von Norm und Transformation

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Judith Butlers Theorie von Norm und Transformation

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Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 40 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

  • Freitag 12.10. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 19.10. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 09.11. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 16.11. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 23.11. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 30.11. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 07.12. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 14.12. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 11.01. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 18.01. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
  • Freitag 25.01. 10:00 - 11:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Krankheit und Geschlecht sind in ihrer normativen Dimension eng miteinander verknüpft. Judith Butlers Modell der performativen Herstellung von Geschlecht lässt sich für die Analyse der geschlechtsspezifischen Konstituiertheit psychosomatischer Krankheitsbilder nützen. Krankheit erweist sich als soziokulturell hervorgebrachte und geschlechterpolitisch wirksame Konstruktion und Deutung körperlicher und psychischer Zustände. In der Ausformung von Krankheitsbildern, ihrer Interpretation und Behandlung werden geschlechtlich markierte Körper inszeniert. Die Performativität von Krankheit und Geschlecht manifestiert sich in den Phänomenen der hysterischen Konversion, der Anorexie und Bulimie, des selbstverletzenden Verhaltens sowie der multiplen Identität. In der überzeichneten Verkörperung von Weiblichkeitsstereotypen in diesen so genannten Frauenkrankheiten wird das Kontinuum zwischen sog. normaler Frau und sog. pathologischer Weiblichkeit deutlich. In der Ambiguität von Anpassung und Eigenwilligkeit werden Weiblichkeitsnormen hier sowohl bestätigt als auch subvertiert. Ein feministisches Gesundheits- und Krankheitsverständnis ermöglicht mit der Perspektive normativer Konstituiertheit von Weiblichkeit und Männlichkeit eine neue Herangehensweise an die Zusammenhänge von Psyche und Körper, Geschlecht und Gesellschaft. Kein Körper, keine Krankheit und kein Geschlecht existiert außerhalb des Prozesses soziokultureller Bedeutungskonstruktion. Sprache und Körper, Diskurs und Materialität sind miteinander verflochten. Die Materialität dichotom bestimmter geschlechtlicher Körper kann mit Butler als Prozess der Materialisierung, als produktivste Wirkung von Macht neu gedacht werden. Die Perspektive der Intersektionalität von Krankheit und Geschlecht bietet emanzipatorisches Potenzial für Beratung, Psychotherapie und Medizin. Die Reflexion dieser vielschichtigen Konstituiertheit von Körper und Geschlecht erfordert eine neue Wahrnehmung geschlechtlicher Identität und psychosomatischer Zusammenhänge in der medizinischen Diagnostik und der psychotherapeutischen Behandlung (etwa die Erweiterung bloß individuum- und familienzentrierter Ansätze), sowie darüber hinaus eine politische Transformation krankmachender hegemonialer Geschlechterverhältnisse. Butlers Theorie der Annahme des Geschlechts durch Inkorporation und wiederholende Aneignung von Normen bildet die Grundlage für eine Politik des Performativen. Das Konzept der Performativität eröffnet neue Perspektiven auf feministische Handlungsfähigkeit. Dieses politisierte Verständnis von Alltagshandeln zwischen struktureller Konstituiertheit und situierter individueller Handlungsmacht lässt sich auf die psychosoziale Beratungsarbeit übertragen. Feministische Beratung setzt dem Schweigen über belastende Bedingungen das Sprechen über normative Weiblichkeit und die Möglichkeit ihrer Dekonstruktion entgegen. Die Perspektive, dass unsere beständige (Re)Produktion von Männlichkeit und Weiblichkeit in sich instabil ist, dass die Realisierung des Ideals niemals vollständig gelingen kann, sondern durch Ambivalenzen, Brüche und Lücken gekennzeichnet ist, kann befreiend wirken. Das Bewusstsein der Kontingenz dieser performativ hervorgebrachten dichotomen Geschlechterverkörperungen ermöglicht deren selbstbestimmtere Neugestaltung. Normen sind zwar wirkmächtig und konstituieren uns als geschlechtliche Subjekte, sie determinieren uns jedoch nicht, sondern sind für ihre Verkörperung angewiesen auf beständige Wiederholung und somit offen für individuelle und kollektive Neuinterpretation und Transformation. Resignifizierung in der Beratung kann heißen, eine individuelle psychische sog. Störung umzuformulieren in Kulturkritik und gesellschaftlichen Veränderungsbedarf.
Feministische psychosoziale Beratung im Zeitalter des neoliberalen unternehmerischen Selbst bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Normalisierung. Die zentralen Postulate poststrukturalistischer Philosophie, die Ideen der Pluralität, Offenheit und Vieldeutigkeit, fordern psychosoziale Beratung heraus, in Bewegung zu bleiben und sich selbst immer wieder in Frage zu stellen. Im Sinne der Theorie als Werkzeugkiste (Foucault) kann ich als Beraterin das Instrument kritischer Reflexion zur Verfügung stellen und die Ratsuchende bei der Aneignung desselben sowie der Erweiterung ihrer Denk- und Handlungsfreiheit unterstützen. Feministische Philosophie kann somit auch in der psychosozialen Beratung als emanzipatorische gesellschaftliche Praxis wirksam werden.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Aktive Teilnahme, Impulsreferat und schriftliche Arbeit (10-15 Seiten)

Kriterien für das Referat:
Diskussions- und Reflexionsprozess in der Arbeitsgruppe sichtbar machen!
Unterschiedliche Positionen darstellen, was ist neu/ spannend für uns?
An welchen Punkten ist es interessant, weiterzudenken für die Diskussion im Plenum? Sinnvolle Gliederung wichtig, z.B. entlang einiger Leitfragen
1. Textinhalte verstehen
Themen, Fragen, Thesen, Struktur, Intention, Begriffe klären etc.
2. Textinhalte kritisch reflektieren
z.B. was kann diese Theorie erklären, welche gesellschaftliche Relevanz hat sie, was ist das Besondere an ihr, wie unterscheidet sie sich von anderen, Kontext etc.
3. Zusammenhang zu den bisher im Seminar bearbeiteten Texten herstellen

Die Handouts der Referate 1 Woche vor dem jeweiligen Referatstermin an die LV-Leiterin mailen (um noch Änderungsvorschläge oder Ergänzungen einarbeiten zu können) sowie zum Referatstermin in Kopie für alle StudienkollegInnen mitbringen.

Kriterien für die schriftliche Arbeit:
- Klare Fragestellung
- Einbeziehen von nicht selbst referierten Texten aus dem Reader bzw. der angeführten Literatur sowie den Diskussionen in der LV
- persönlicher Bezug oder / und gesellschaftliche Relevanz der behandelten Thesen und Argumente

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Fundiertes Verständnis von Konzepten der performativen, diskursiven und sozialen Konstituiertheit von Körper, Krankheit und Geschlecht (Butler, Foucault)
Überblick über die Zusammenhänge von Macht, Diskurs und Norm in den konstruktivistischen und poststrukturalistischen Subjekttheorien
Kenntnisse über die Verflechtungen von Psyche und Soma sowie kultureller und gesellschaftlicher Dimensionen von Krankheit
Stärkung der kritischen Reflexions-, Urteils- und Argumentationsfähigkeit anhand der Lektüre einflussreicher Texte aus dem Feld der feministischen Philosophie und Gender Studies
Interdisziplinäre Praxisvermittlung und Anwendung philosophischer Theorien und Methoden auf Fragestellungen aus dem psychosozialen Feld mit dem Schwerpunkt Politik des Privaten in Beziehung, Trennung und Gewalt sowie psychosomatischen Verschränkungen

Prüfungsstoff

Vortrag, Lektüre, Impulsreferate, Kleingruppenarbeit, Analyse von Filmsequenzen
Reader mit Programm und allen zu bearbeitenden Texten ist im facultas-Shop (NIG) erhältlich
Exkursion in die Beratungsstelle Frauen beraten Frauen. Institut für frauenspezifische Sozialforschung

Literatur

Butler, Judith (2009): Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen (orig. Undoing Gender 2004 London/ New York: Routledge) Frankfurt/ M.: Suhrkamp
Butler, Judith (2005): Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt/ M.: Suhrkamp
Butler, Judith (1998): Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt/ M.: Suhrkamp
Butler, Judith (1995): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin: Berlin-Verlag
Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/ M.: Suhrkamp
Breuer, Josef/ Freud, Sigmund (1991/ orig. 1895): Studien über Hysterie. Frankfurt/ M.: Fischer
Frauen beraten Frauen. Institut für frauenspezifische Sozialforschung (Hg.in)(2010): In Anerkennung der Differenz. Feministische Beratung und Psychotherapie. Gießen: Psychosozial Verlag
Freud, Sigmund (1893): Zur Ätiologie der Hysterie (GW Bd. VI)
Hofmann, Imre (2010): Das Experiment des Philosophierens. In: Staude, Detlef (Hg.): Methoden der philosophischen Praxis. Bielefeld: transcript, 187-209.
Leibetseder, Doris (2010): Queere Tracks. Subversive Strategien in der Rock- und Popmusik. Bielefeld: transcript
McRobbie, Angela (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften
Puhl, Klaus (2009): Worüber man nicht sprechen kann, das muss man wiederholen. In: Gebauer, Gunter/ Goppelsröder, Fabian/ Volbers, Jörg (Hg.): Wittgenstein. Philosophie als Arbeit an Einem selbst. München: Wilhelm Fink, 113-127.
Torr, Diane/ Bottoms, Stephen (2010): Sex, Drag and Male Roles. Investigating Gender as Performance. Michigan: University of Michigan Press
Zehetner, Bettina (2010): Feministische Trennungsberatung. Von der Abhängigkeit über die Ambivalenz zur Autonomie. In: Frauen beraten Frauen. Institut für frauenspezifische Sozialforschung (Hg.in): Feministische Beratung und Psychotherapie. Gießen: Psychosozial Verlag, 99-111
Zehetner, Bettina (2012): Krankheit und Geschlecht. Feministische Philosophie und psychosoziale Beratung. Wien: Turia + Kant
http://homepage.univie.ac.at/bettina.zehetner/

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BA M 13 und BA M 11, PP 57.3.7

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36