Universität Wien

240064 VO Spezialvorlesung: Bildung für Selbstbestimmung (2023W)

Eine kritische Bilanz emanzipatorischer und revolutionärer Bildungsideen und deren Umsetzungen im Globalen Süden

BDG

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Details

Sprache: Deutsch

Prüfungstermine

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

  • Montag 09.10. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 16.10. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 23.10. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 06.11. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 13.11. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 20.11. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 27.11. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 04.12. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 11.12. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 08.01. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 15.01. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02
  • Montag 22.01. 15:00 - 16:30 Hörsaal B UniCampus Hof 2 2C-EG-02

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Im Kontext der Befreiungsbewegungen der 1950er und 1960er im Globalen Süden galt Bildung als ein wirksames Instrument der Befreiung von Herrschaft sowie des Aufbaus eigenständiger und sozial gerechter Gesellschaften. Den Menschen sollte sie Selbstbestimmung und die autonome Gestaltung des eigenen Lebens ermöglichen. Der Narrativ emanzipatorischer Bildung mag wie im Märchen klingen - und vielleicht war dieses Konzept auch nur ein Märchen, das von der politischen und historischen Entwicklung sehr rasch eingeholt wurde, wo auch immer es sich entfalten wollte.
Diese Ringvorlesung stellt sich der Frage, was denn aus der Idee der emanzipatorischen Bildung geworden ist. Es ist nur allzu offensichtlich, dass sie heute nur mehr wenig Attraktivität genießt. Die bildungspolitischen Diskussionen, ob auf nationaler, regionaler oder globaler Ebene, orientieren sich an ganz anderen normativen Vorgaben und sind vom Leitbild der Wettbewerbsfähigkeit dominiert. Emanzipatorische Bildung war ebenfalls hochgradig normativ, aber ihre Norm war die Befreiungserzählung, unter Rückgriff auf Kant, Hegel, Marx und im Globalen Süden auch auf vorkoloniale Bildungszugänge. Ab den 1960er Jahren, bis hin zu den 1980ern, galt dieser Zugang in den entwicklungspolitischen Diskussionen, vielerorts auch in den Ländern des Globalen Südens selbst, als Ausgangspunkt jeglicher Debatte über Bildung - und auch manche konkrete Bildungspolitik versuchte daran anzusetzen.
Im Rahmen der Ringvorlesung werden daher nach einer Einführung in theoretische Grundlagen zu Bildung und Befreiung eine ganze Reihe von Fallbeispielen aus der Geschichte der (emanzipatorisch gemeinten) Dritten Welt und des Globalen Südens vorgestellt und kritisch diskutiert. Hier sind jene Initiativen von besonderem Interesse, bei denen in Ländern der Peripherie versucht wurde, einen eigenständigen Weg der Bildungspolitik zu beschreiten.
Die besprochenen Beispiele umfassen das Konzept "Education for Self-Reliance" für eine autozentrierte Entwicklung Tansanias sowie sozialistische Versuche in Asien, speziell in China. Für Lateinamerika gilt die Kubanische Alphabetisierungskampagne von 1961 als Leuchtturm, ebenso wie die jene im sandinistischen Nicaragua der 1980er Jahre. Angeknüpft wurde daran ab 2000, als in mehreren Ländern Lateinamerikas erneut Alphabetisierungskampagnen unter dem Motto "Yo sí puedo!" ("Ja, ich kann") starteten.
Referenzpunkte dieser kritischen Bildungsdebatte des Globalen Südens sind neben Paulo Freire, Julius Nyerere und bell hooks auch europäische Theoretiker*innen wie Antonio Gramsci und Pierre Bourdieu. Paulo Freire wurde durch sein in zahlreiche Sprachen übersetztes Buch „Pädagogik der Unterdrückten“ bekannt. Er tritt für eine Erziehung als Praxis der Freiheit ein. Julius Nyerere war Lehrer, Führer der Unabhängigkeitsbewegung und erster Präsident der unabhängigen Republik Tansania. Sein Konzept „education for self-reliance“ sieht in Bildung ein zentrales Instrument, um eine autonome und sozialistische Entwicklung in Tansania möglich zu machen. Die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks hat Paulo Freire einer feministischen Re-Lektüre unterzogen und gilt als Verfechterin feministischer und antirassistischer Ansätze.

Ziele
Die Lehrveranstaltung möchte auf den theoretischen Zugängen von Paulo Freire und anderen aufbauend einen Einblick in die kritische Bildungsdebatte geben und historische Fallbeispiele diskutieren, im Rahmen derer eine kritische Bildungspraxis entfaltet wurde. Dadurch soll die Fähigkeit gestärkt werden, Bildungsdebatten kritisch, reflektiert und doch konstruktiv einzuordnen und mitzugestalten.

Methoden:
Vorträge der LV-Leiter*innen sowie einzelner Gastvortragender, ergänzt durch Hinweise auf Lektüre von Originaltexten und Videos mit Beiträgen der behandelten Theoretiker*innen. Die LV-Leiter*innen begrüßen die aktive Beteiligung der und den Austausch mit den Studierenden und werden diesen durch interaktive Elemente in den Vorträgen anregen.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Der Leistungsnachweis erfolgt in Form einer schriftlichen Prüfung am Ende des Semesters bzw. zu den weiteren Prüfungsterminen. Grundlage dafür sind zum einen die Vorträge, zum anderen die als Pflichtlektüre angegebenen Originaltexte der behandelten Theoretiker*innen.

Die Prüfung besteht aus zwei Teilen:

1. Verfassen eines Essays zu den Inhalten der Vorlesung (open book). Die Studierenden können zwischen zwei Fragestellungen auswählen, die sich auf jeweils unterschiedliche Schwerpunkte der RVO beziehen. Dritte Option ist das Verfassen einer persönlich geprägten Reflexion zur gesamten Lehrveranstaltung, in der Irritationen, Erkenntnismomente und offene Fragen benannt und ein Feedback an die LV-Leiter*innen formuliert werden. Dies setzt freilich den regelmäßigen Besuch der LV voraus!

2. Rezension eines der Werke der behandelten Theoretiker*innen (von mind. 120 Seiten), 5.000 bis 6.000 Zeichen inkl. Leerzeichen.
Bitte dabei die universitätsüblichen Formatierungen beachten (Name und Matr.Nr. angeben, 1,5zeiliger Text von 12 Punkt-Schrift).
Teil 2 wird zu den Prüfungsterminen gemeinsam mit dem Essay abgegeben.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Prüfungsstoff

Prüfungsstoff zum 1. Teil der Prüfung sind die vorgetragenen Inhalte. Unter "Literatur" finden sich empfohlene Ergänzungen zu den mündlichen Vorträgen.

Für den 2. Teil der Prüfung wird aus den hier folgenden Werken der behandelten Theoretiker*innen ein Titel gewählt (Teil 2 der Prüfung)
Davon abweichende Titel können nach vorheriger Absprache mit der LV-Leitung gewählt werden!

Boal, Augusto (2013): Hamlet und der Sohn des Bäckers, Die Autobiografie. 376 Seiten. Übersetzt von Birgit Fritz und Elvira M. Gross. Herausgegeben von Birgit Fritz. Wien: Mandelbaum.

Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (2007 [1964]): Die Erben. Stunden, Bildung und Kultur. Aus dem Franz. von Stephan Egger und Eva Kessler. Konstanz: UVK (franz. Original: Les héritiers: les étudiants et la culture, Les Éditions de Minuit, Reihe. „Grands documents“ Nr. 18, Paris 1964).

Carnoy, Martin (2007): Cuba’s Academic Advantage. Why Students in Cuba do better in School. Stanford: Stanford University Press

Datta, Asit/Lang-Wojtasik, Gregor (Hg.): Bildung zur Eigenständigkeit. Vergessene Reformpädagogische Ansätze aus vier Kontinenten. Frankfurt/Main: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation

Eribon, Didier (2016): Rückkehr nach Reim. Übersetzt von Tobias Haberkorn. Berlin: Suhrkamp. (Franz. Original: Retour à Reims. Paris: Fayard 2009).

Ernaux, Annie (2018 [2008]): Die Jahre. Aus dem Französischen von Sonja Finck. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Freire, Paulo (1971): Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Vom Verfasser autorisierte deutsche Übertragung von Werner Simpfendörfer. Stuttgart: Kreuz-Verlag [später: Reinbeck/Hamburg: Rowohlt, 1973]

Freire, Paulo (2008): Pädagogik der Autonomie. Notwendiges Wissen für die Bildungspraxis. Übersetzt von Ivo Tamm in Koop. mit Dirk Oesselmann u. Peter Schreiner. Waxmann Verlag, 2008.

Gramsci, Antonio (2004): Erziehung und Bildung. Gramsci Reader. Herausgegeben im Auftrag des Instituts für kritische Theorie von Andreas Merkens. Hamburg: Argument

hooks, bell (2021): Die Bedeutung von Klasse. Warum die Verhältnisse nicht auf Rassismus und Sexismus zu reduzieren sind. Aus dem amer. Englisch übersetzt von Jessica Yawa Agoku. München: Unrast 2020.

hooks, bell (1994): Teaching to Transgress: education as the practice of freedom. London: Routledge. online

hooks, bell (2003): Teaching Community. A pedagogy of hope. New York: Routledge. online

hooks, bell (2010): Teaching Critical Thinking. Practical Wisdom. Routledge: New York, London. online

Kohan, Walter Omar (2021): Paulo Freire. A Philosophical Biography. London et al.: Bloomsbury.

Kohan, Walter Omar (2015): The inventive school master. Simón Rodríguez. Rotterdam et al.: Sense Publishers

Lorde, Audre (2021): Sister Outsider: Essays. Übersetzt von Eva Bonné und Marion Kraft. München: Hanser.

Mayo, Peter (2007): Politische Bildung bei Antonio Gramsci und Paulo Freire: Perspektiven einer verändernden Praxis. Hamburg: Argument

Torres, Carlos Alberto (2014): First Freire: Early Writings in Social Justice Education. New York, NY: Teachers College Press.

Literatur


Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

IE: VM1 bis VM8, Schwerpunkt Bildung

Letzte Änderung: Do 18.01.2024 14:46