090058 VO Modern Greek Literature (2012S)

Im Dezember 1945, nach dem Ruin Europas und kurz vor Ausbruch des griechischen Bürgerkriegs, beginnt in Piräus eine Rettungsaktion: Zweihundert vielversprechende Stipendiaten gehen auf Einladung der französischen Regierung an Bord der S.S. Mataroa, die sie über Italien nach Frankreich bringen soll - unter ihnen der Philosoph Cornelius Castoriadis und der Ingenieur und Komponist Jannis Xenakis. In Paris werden die beiden noch unbekannten Intellektuellen mit der westeuropäischen Moderne konfrontiert - Xenakis wird Assistent des Architekten Le Corbusier, Castoriadis kommt in Berührung mit linkem Gedankengut und ist Mitbegründer der Zeitschrift Socialisme ou Barbarie. Wie aber die europäische Kultur in eine Phase der Selbstkritik eintritt, inspiriert sie die jungen Griechen und ruft zugleich ihre Abwehr hervor: Es entsteht eine neue und andere Moderne, der sich nun auch ein dritter, ursprünglich aus Griechenland stammender Vertreter einreihen lässt - der Maler Jannis Kounellis, der Jahre später und freilich aus anderen Gründen nach Italien emigriert. Trotz aller Unterschiede weist jene Moderne erkennbare Gemeinsamkeiten auf: einen ausgeprägt politisierten und zugleich künstlerischen Verstand, eine gewisse Sprödigkeit und Strenge, den Willen zur Kritik herkömmlicher Ästhetik (kein Tafelbild, keine Sonatenform, keine transzendentale Philosophie), einen gänzlich rationalen und doch so leicht entflammbaren Geist, dem jede Sentimentalität fremd ist ...
Die Vorlesung versteht sich als der prozesshafte Versuch, jene "strenge Moderne" in ihren Funktionen und Auswirkungen genauer zu bestimmen. Sie erörtert an drei exemplarischen Persönlichkeiten und Werken einen griechisch-europäischen Intellektualismus, mithin die Spuren des Griechischen in diesem Denken und dessen Rückwirken auf die griechische Kultur. Nicht zuletzt soll es (gerade in Zeiten krisenhafter Auseinandersetzungen) um die Entdeckung eines gesellschaftspolitischen Potentials gehen: Castoriadis lesen, Kounellis sehen, Xenakis hören - Das macht keinen Spaß, aber fraglos macht es Freude ...