180049 VO-L Media philosophy of scientific instruments: physiology, psychology (2014S)

Die experimentellen Arbeiten von Luigi Galvani über die tierische Elektrizität und die nachfolgende Entwicklung der galvanischen Batterie durch Alessandro Volta um das Jahr 1800 schufen ein Instrument, das erstmals kontinuierlichen Stromfluss ermöglichte. Es ersetzte die bis dahin gebräuchlichen Geräte zur Erzeugung von Reibungselektrizität, die sog. Elektrisiermaschinen, die nur Entladungsstrom liefern konnten. Gleichwohl wurde diese Apparate schon intensiv in der Medizin genutzt, ohne dass man über die Wirkungen Bescheid wusste. Hoch spekulative Theorien über den sog. tierischen Magnetismus, bekannt als Mesmerismus, benannt nach dem in Wien ausgebildeten Arzt Franz Anton Mesmer, bildeten ein Seitenstück dazu. Physis und Psyche des Menschen wurden über Elektrizität und Magnetismus medial verkoppelt. Während die Mediziner und Physiologen in der Elektrizität die Lebenskraft vermuteten, verschalteten die Mesmerschen Apparate (sog. Baquets) die Psyche mit den kosmischen magnetischen Strömen. Die heroischen Selbstversuche Johann Wilhelm Ritters inspirierten zwar Schelling, blieben aber, genauso wie die Konstruktion des ersten elektrischen Telegraphen durch Samuel Thomas von Soemmerring 1809, ohne direkte Folgen. Das Thema Elektrizität und Magnetismus bildete aber den Hintergrund, vor dem sich physiologische Aufzeichnungsapparate wie der Kymograph (Wellenschreiber) aufbauten. Zunächst als Instrument für ballistische Messungen entwickelt, wurde es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem universell genutzten Aufzeichnungsgerät. Seine Besonderheit war die Selbstaufzeichnung, d.h. schwer beobachtbare simultane Ereignisse, wie z.B. Herztätigkeit und Atemdruck in der Brusthöhle (Karotis- und Pleuradruck) konnten in der wechselseitigen Abhängigkeit aufgezeichnet und interpretiert werden (Carl Ludwig). Der Kymograph war zweifelsohne das zentrale Instrument der Königswissenschaft Physiologie, das wiederum zahlreiche Variationen hervorbrachte, wie den von Hermann von Helmholtz konstruierten Myographen (Muskelschreiber) zur Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit. Damit eröffnet sich schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein weites Feld von Untersuchungen über die Menschenströme, wie sich Emil Du Bois Reymond, Kollege und Freund von Helmholtz, ausdrückt. In Paris entwickelt in dieser Zeit Étienne-Jules Marey einen ganzen Maschinenpark zur Aufzeichnung der unterschiedlichsten Bewegungsarten, von der Gang- und Laufart der Pferde bis zu menschlichen Bewegungen des Gehens, Laufens, Springens, etc. Ausgehend von der Aufzeichnung des Kymographen geht Marey bald zur serienphotographischen Aufzeichnung über und wechselt damit das Medium, genauer gesagt wird die Aufzeichnung von Kurven mit der seriellen Photographie ergänzt. Marey spricht in diesem Zusammenhang von einer universellen Sprache, geradezu von der Sprache der Natur selbst, die sich mittels der Apparate zu erkennen gibt. Im Stile der Zeit unterdrückt oder übersieht er dabei die Relevanz des medialen Eingriffs, der in der Experimentalanordnung einen Verbund von Objekt, Apparat, Beobachter, Aufzeichnung bildet.
In der neu entstehenden experimentellen Psychologie, zunächst als Zweig der Philosophie geführt, zeigt das 1879 von Wilhelm Wundt gegründete Institut für experimentelle Psychologie in Leipzig einen wachsenden Maschinenpark zur Erforschung psychischer Phänomene. Als früherer Assistent bei Helmholtz und Mitarbeiter von Du Bois Reymond war Wundt mit der Entwicklung in der Physiologie und den dort verwendeten Apparaten durchaus vertraut. Im Rahmen der experimentellen Psychologie wurden Probleme untersucht, wie z.B. das menschliche Gedächtnis, zu denen die Physiologie einen Zugang von der biologischen Ebene suchte.
Die Vorlesung wurde gemeinsam mit Mag. Marianne Kubaczek konzipiert und wird auch zusammen mit ihr durchgeführt.