210115 SE M11/FOP: SE Trends of privatization and economization in the walfare-state (2010S)

Mit dem Ausbruch der Finanzkrise hat der Übergang von einer finanz- zu einer realkapitalistischen Wirtschaftsordnung begonnen. Dieser wird lange dauern, da der in den vergangenen 30 Jahren zunehmend dominante "Finanzkapitalismus" eine umfassende "Spielanordnung" darstellt, deren Komponenten einander stützen. Dazu gehören die neoliberale Wirtschaftstheorie, der Vorrang für den Geldwert, die Liberalisierung der Finanzmärkte, die Regulierung/Restringierung der Wirtschaftspolitik, und generell die Schwächung der vier Hauptsäulen des Sozialstaats: Bildungswesen, Arbeitslosenversicherung, Gesundheitswesen und Altersvorsorge; die Paradoxie dabei: Einerseits werden nahezu alle Lebensbereiche "ökonomisiert", andererseits wird es immer schwerer, im System Ökonomie einen (Arbeits)Platz zu finden (Stephan Schulmeister, WIFO). Vor dem Hintergrund des New Public Management geschieht dies mit dem Ziel der Stabilisierung/Erweiterung der Herrschaft der Ökonomie unter dem Mantel erhöhter Effizienz. Im Sinne dieser Philosophie verändern sich die Formen der staatlichen Steuerung: Lenkung über externe Instrumente wird wichtiger. Der Staat konzentriert sich also auf die Sicherung minimaler Standards, globale Leitung und Überwachung der Leistungserbringung durch Private; dabei hebt die Delegierung von Aufgaben bereits das Planungsprinzip der 1960er Jahre auf und leitet die Reformen im Sinne des Selbstorganisationsprinzips ein. Befindet sich der (Sozial)Staat "... nach den Errungenschaften der 1960er/1970er Jahre ..." auf dem Rückzug?

Spätestens seit der öffentlichen Debatte zwischen Peter Sloterdijk (antifiskalischer Bürgerkrieg) vs Axel Honeth (Faustschlag gegen den Sozialstaat) bzw Karl Heinz Bohrer (Lobhudelei der Gleichheit) gegen Martin Seel (Kraftloser Utopismus) wird der Frage nach der Existenzberechtigung des Sozialstaates gerade in den Ländern ( Deutschland und Österreich)radikal gestellt, die diesen modellhaft im 19. und 20. Jahrhundert in Mitteleuropa geschaffen haben.
Das FOP knüpft an diese Debatte an, um mittels Erhebungen und Befragungen sozial- und wirtschaftspolitischer Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene zu erkunden ob die Ideen der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit im neuen Jahrhundert weiterhin am besten durch den Nationalstaat, ein europäisches Wohlfahrtssystem oder überhaupt durch die Bürgergesellschaft in Gestalt eines neuen Tugendkodex der besitzenden Klassen garantiert wird.