230081 VO Austrian Sociology and National Socialism (2015W)

In den letzten Jahren ist die versandet geglaubte Debatte über das Verhältnis von Soziologie und Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich neu entflammt. Neben fachgeschichtlichen Fragen zur Frühphase der Soziologie als akademischer Disziplin involviert diese Gegenüberstellung Diagnosen über den Zustand der zeitgenössischen Soziologie und über das konzeptuelle und methodische Vermögen des Fachs, Phänomene wie massenhafte Gewalt, Genozid oder "totale Kriege" zu durchleuchten.
Welche nachhaltigen Folgen bewirkten Verdrängungen, Vertreibungen und Vernichtungen für die heutige Soziologie in Österreich? Wie lässt sich die Entwicklung der Soziologie in Österreich mit den historischen Zäsuren 1934, 1938 und 1945 in Verbindung bringen? Blieben austrofaschistische und nationalsozialistische Versuche, Soziologie und Gesellschaftslehre auf den Universitäten zu verankern, angesichts der Bedeutung dieser weitgehend folgenlos? Oder gibt es verborgene Kontinuitäten auf sozio-historischer und kognitiver Ebene? Gab es in der Nachkriegszeit spezifische Forschungen österreichischer SoziologInnen, sich mit Aspekten der nationalsozialistischen Herrschaft auseinanderzusetzen?
In der Vorlesung wird versucht, diesen Fragen auf verschiedenen Ebenen auf den Grund zu gehen. Es werden Texte von SozialwissenschaftlerInnen diskutiert, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Wien tätig waren, Entwicklungslinien der Soziologie nach 1945 skizziert und äußere Anstöße zur Auseinandersetzung wie die Waldheim-Affäre im Detail behandelt. In vier Terminen debattieren zudem insgesamt acht ausgewiesene SoziologInnen über Fragen der Definition von Soziologie und Nationalsozialismus über frühe soziologische Forschungen nach 1945, über Transfer und Tradierung von NS-Erfahrungen in Institutionen und Biografien und schließlich über mögliche konzeptuelle Kontinuitäten in der österreichischen Soziologie, insbesondere in der Migrationssoziologie.